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Ludwig van Beethoven - Gesamtausgabe
€480,00
Die Chorfantasie op. 80 steht unter Beethovens Werken für große Besetzungen allein. Nur die Klaviereinleitung ist im eigentlichen Sinne eine „Fantasie“; dann beginnt die bekannte Liedmelodie im Klavier und wird acht Variationen unterzogen, an denen sich das Orchester beteiligt, bevor sie schließlich vom Chor übernommen wird. Ist es also ein Klavierkonzert mit abschließendem Chor? Nein, es fehlt die übliche Konzertform. Ist es eine Kantate? Nein, die vorangehenden Abschnitte für Klavier und Orchester sind zu umfangreich und gewichtig. Es ist also weder das eine noch das andere, sondern enthält von beidem etwas! Selbst die dreiteilige Konzeption der Klavierkonzerte lässt sich erkennen, da die Einleitung – die eigentliche „Fantasie“ – zweifellos als eigenständiger Satz zu betrachten ist. (Beethoven fügte sie tatsächlich später hinzu; bei der denkwürdigen „Akademie“ im Dezember 1808, als er das Werk zusammen mit der Fünften und Sechsten Symphonie vorstellte, improvisierte er diesen Satz auf dem unbegleiteten Klavier, und seine schriftliche Fassung klingt noch immer wie eine Improvisation.)
Die dreiteilige Struktur der folgenden Variationen deutet klar auf die Absicht eines Mittelsatzes hin. Die Variationen sind mitunter durch kurze, nachdenkliche Durchführungsteile miteinander verbunden, anstatt einfach mechanisch aneinandergereiht zu werden, und selbst in den ersten vier Variationen, die tatsächlich unmittelbar aufeinander folgen, ist eine in sich geschlossene Gedankenreihe vorhanden.
Die Liedmelodie wird zunächst von Solisten gesungen, bevor sie sanft von der Soloflöte und dann in den schalmeiartigen Tönen von Paaren aus Oboen und Klarinetten verändert wird. Es folgt eine kammermusikalische Variation im (vorgeschriebenen) Streichquartett, und erst dann erscheint das dominierende Thema unverändert im jubelnden Orchestertutti. Nach der düsteren, dramatischen Einleitung kann diese „arkadische“ Themenprozession ohne Frage nur programmatisch verstanden werden.
Die beiden gegensätzlichen Seiten prallen auch in den folgenden Variationen aufeinander. Der dramatischen Mollvariation (c-Moll) folgt die heroische Idylle der großen Adagio-Variation (A-Dur) und die kriegerische Marschvariation (F-Dur). Und erst nach einer elegischen Rückkehr zum düsteren Anfangszustand und einem arkadischen Willkommensgruß der „Schalmeien“ erklingt die schöne Liedmelodie in den menschlichen Stimmen. Der letzte Teil, das „Finale“, erhebt das Werk zur Kantate. Worte sind endlich erlaubt.
Aber was singt der Chor? Niemand kann die unverkennbare Ähnlichkeit mit dem „Ode an die Freude“-Thema der fünfzehn Jahre später entstandenen Neunten Symphonie überhören; Silbe für Silbe scheint die Liedmelodie wie angegossen zu Schillers Text zu passen, doch der Text, zu dem Beethoven die Chorfantasie komponierte, wurde erst in letzter Minute für diesen Zweck bestellt. Wir wissen, dass er das Werk nicht um diesen Text herum konzipierte, denn er erhielt ihn erst, als er im Begriff war, den dritten Satz zu schreiben. Auch der Hinweis, dass die Melodie bereits in Beethovens früherem Lied „Gegenliebe“ (Bürger) auftauchte, hilft nicht weiter, mit seinen auffälligen deklamatorischen Unregelmäßigkeiten, die darauf hindeuten, dass er die Melodie ursprünglich für einen ganz anderen Text komponiert hatte. Der ursprüngliche Text könnte Schillers „Ode an die Freude“ gewesen sein, und es gibt wohl Gründe, warum er damals kein Werk mit diesem Text veröffentlichen wollte. Jedenfalls ist es wohl nicht falsch, die Chorfantasie als Vorläufer der Neunten Symphonie zu sehen, doch sie war als eigenständiges, einzigartiges Werk gedacht und stellt keine „Studie“ oder „Vorstufe“ dar.
Beethoven selbst äußerte Unzufriedenheit mit dem Text der Chorfantasie und bat seinen Leipziger Verleger ausdrücklich um einen passenderen. Seine einzige Bedingung war, dass das Wort „Kraft“ gegen Ende seinen Platz behalte.
Beethovens Wunsch wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts erfüllt, als der sozialistische Dichter Johannes R. Becher mit sicherem Gespür für die Bedeutung seiner Aufgabe einen neuen Text schuf, der zur Musik passte. Aus fehlgeleitetem Respekt vor dem schwachen Text verweigerte das Bürgertum Beethovens großangelegtem Werk, das auf die Neunte Symphonie zusteuert, die gebührende Anerkennung. Mit Bechers passenden Strophen etablierte sich das Werk als unverzichtbares Kulturgut der DDR beim Weltfest der Jugend in Berlin 1951.
Es liegt in der Natur der anderen auf dieser Platte präsentierten Chorwerke mit Orchester, dass sie sich mühelos an die Geisteshaltung der Chorfantasie anschließen. Auch wenn wir die Reihenfolge nicht einhalten, verdient das „Opferlied“ zuerst Erwähnung, da Matthissons Gedicht Beethoven seit 1796 beschäftigte, als er „Adelaide“ vertonte, ebenfalls von Matthisson, den er bewunderte. „Für ihn schien es ein Gebet durch alle Zeiten zu sein“ (Nottebohm). Am liebsten war ihm das Ende der zweiten Strophe, wo „Schönheit“ und „Güte“ gekoppelt sind. Er verwandelte den Gedanken oft in musikalische Mottos, die er Freunden und Besuchern schenkte.
Die ausgeprägte klassizistische Konzeption (weibliche Vorsängerin mit Chor) entspricht der formal vollkommenen linearen Struktur der Stimmen und der strengen Zurückhaltung in den harmonischen Abläufen. Was die Stimmen – vokal und instrumental – hier „mit innigem, andächtigem Gefühl“ vorzutragen haben, war mehr als nur ein Gebet; es war die feierliche Offenlegung von Beethovens Lebens- und Kunstmaximen.
Das „Bundeslied“ kann als heiter-gesellige Entsprechung zum „Opferlied“ gesehen werden. Beethoven veröffentlichte beide zusammen als op. 121[b] und op. 122 im Sommer 1825. Eine Mainzer Verlagszeitschrift schrieb damals: „Das vorliegende Werk zeigt, wie tief Beethoven sich in Goethe einfühlte. Goethe würde das vorliegende Gedicht in Musik genau so ausdrücken, wenn er ein ebenso großer Komponist wäre, wie er ein Dichter ist.“
Dem treffenden Urteil ist auch heute nichts hinzuzufügen, es sei denn der Hinweis auf die nahezu perfekte Übereinstimmung von Silben und Melodie – ein weiterer Aspekt, der das „Bundeslied“ mit dem „Ode an die Freude“-Thema der Neunten Symphonie verbindet. Auch hier wird das Lied zur Grundidee der Gemeinschaft. Selbst die obligaten Holzbläserstimmen, die den Vokallinien folgen, wurden im Chorschluss der Neunten aufgenommen. Die rasch aufeinanderfolgenden Instrumentenpaare (Klarinetten, Fagotte und Hörner) verleihen dem „Bundeslied“ eine eigene gesellige Färbung, die besonders in den Zwischenspielen und am Ende schön hervortritt.
Weniger glücklich war Beethoven mit dem Festchor zur „Weihe des Hauses“, der zusammen mit der weit bedeutenderen Ouvertüre und anderen entlehnten Stücken zur Einweihung des neuen Theaters in der Josefstadt 1822 aufgeführt wurde, mit dem er verbunden war. Doch auch in diesem Chor ist seine meisterliche Hand unverkennbar, besonders in der edlen Verschmelzung des Sopransolos mit der Violinkantilene, „eine Szene verklärten Lebens“.
Einige Jahre nach der Komposition der Schauspielmusik zu „Egmont“ verband Beethoven Goethes Gedichte „Meeresstille“ und „Glückliche Fahrt“ zu einer kleinen Kantate, die er dem Dichter nach ihrer Veröffentlichung 1822 mit einer überschwänglichen Widmung zusandte. Die Kantate war tatsächlich in den ersten Monaten des Wiener Kongresses (1814/15) entstanden, eine Zeit, die für sich spricht. Beethoven hätte die beiden Gedichte kaum für so ambitionierte Kräfte vertont, wenn seine einzige Absicht gewesen wäre, Naturszenen musikalisch darzustellen. Auch Goethes Ziel war mehr als bloße Naturdichtung, als er die bleierne Bewegungslosigkeit des Meeres sah, „die todbringende Stille furchtbar“ durch die Winde geteilt, den Nebel sich lösen und das ferne Land näherkommen. Der politische Beethoven verstand diese Symbolik enger. Zu seinem Bedauern musste er jedoch teuer für seine Illusion bezahlen, denn die bleierne Ruhe setzte sich nach den Siegen der Nationen über Napoleon stärker denn je durch. Als sich der erste Nebel endlich lichtete, lebte Beethoven nicht mehr.
In einer Zeit, in der kein „Land“ in Sicht war, war seine Widmung an den „Nationaldichter“ prophetisch, ein nationalistisch-revolutionärer Appell des Komponisten an den Dichter. War es diese Mahnung, die Goethe als spitz empfand? Jedenfalls unterließ er es, Beethoven für die Vertonung seiner beiden Epigramme in einer so bedeutungsschweren Kantate zu danken.
Harry Goldschmidt (1970)
Label: Eterna
Titelliste
01 Fantasie c-moll op.80
02 Meeresstille und Glückliche Fahrt op.112
03 Opferlied op.121b
04 Bundeslied op.122
05 Die Weihe des Hauses
Technische Details & Produktvarianten
Standard Masterband Produktvariante:
1/4” - 2 Track RTM LPR90 - 15IPS - 38cm/sec - CCIR - 320 nWb/m - 1 Metallspule - Archivbox - Horch House Deluxe Verpackung
Studio Masterband Produktvariante:
1/4” - 2 Track RTM SM900 - 15IPS - 38cm/sec - CCIR - 510 nWb/m - 2 Präzisionsmetallspulen - Archivboxen - Horch House Deluxe Verpackung
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